Reisen mit Rollstuhl – Die Experten-Tipps von Timo Hermann für die perfekte Reiseplanung

Menschen mit Mobilitätseinschränkungen (PRM, Persons with reduced mobility) sehen sich auf dem Reisemarkt mit ganz speziellen Hürden konfrontiert. Das ist aber kein Grund, nur noch Urlaub auf Balkonien zu machen: auch mit Rollstuhl, Rollator & Co. ist es möglich, die Welt zu bereisen. Es bedarf lediglich ein wenig mehr an Vorbereitung und Informationen. Diese zu finden, ist zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach, aber mit etwas Eigeninitiative und den folgenden Tipps und Tricks wird die Reiseplanung deutlich erleichtert.

Barrierefreiheit ist nicht nur ein großes gesellschaftspolitisches Ziel, sondern auch ein extrem weit gefasster Begriff. Wir vermeiden ihn an dieser Stelle, weil wir uns in diesem Ratgeber auf Menschen mit Mobilitätseinschränkungen konzentrieren und dabei der Übersichtlichkeit halber andere Behinderungsformen außen vor lassen müssen. Aber auch Gehörlose, Menschen mit Sehbehinderungen oder mit Lernschwierigkeiten finden hier den einen oder anderen Tipp, der auch ihnen bei der Planung ihrer Reise hilft.

Übrigens: Zugänglichkeit nützt wesentlich mehr Menschen, als man zunächst annehmen möchte. Welche Eltern hieven gerne den Kinderwagen über den roten Teppich einer großen Treppe vor dem Hoteleingang? Es geht also um mehr – um viel mehr. Kommen wir also zum Wesentlichen!

Die derzeitige Lage von mobilitätseingeschränkten Menschen auf dem Reisemarkt

Mal eben schnell beim Blind Booking mitmachen und sich vom Reiseziel überraschen lassen? Koffer packen, zum Flughafen marschieren und sich ein super Last-Minute-Schnäppchen aussuchen? Das sind Erlebnisse, die für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gehbehinderungen tatsächlich momentan kaum vorstellbar sind. Zu schwierig ist es, die notwendigen Informationen über die Beschaffenheit des Hotels am Zielort und dessen Umgebung zu gewinnen, zu wenig rollstuhlgerechte Hotels gibt es im Allgemeinen, und auch die Beschränkung der Verkehrsmittel auf wenige Rollstuhlfahrer pro Zug oder Flugzeug erfordern eine etwas längerfristige Planung.

Vorüberlegungen und Planung

Wohin soll es überhaupt gehen? Welche Art von Urlaub soll es sein? Ein Citytrip? Strandurlaub? Eine Bergtour? Ja, kein Scherz: selbst Bergtouren können unter Umständen für Rollstuhlfahrer machbar sein. Grundsätzlich gilt es, Wünsche zu formulieren, ein Budget festzulegen und je nach persönlichen Präferenzen und den gegebenen Einschränkungen einen Katalog an Mindestkriterien zu formulieren. Danach geht es an die Suche.

Hotelsuche

trivago überarbeitet momentan seinen Suchfilter. Mit dessen Hilfe wird es bald wieder möglich sein, gezielt nach geeigneten Hotels zu suchen. Dazu muss aber fairerweise angemerkt werden: Maschinelle Filter haben ihre Grenzen. Es ist kaum möglich, jedes wichtige Merkmal (stufenloser Zugang, Türbreiten, Toilettenhöhe, Haltegriffe, …) abzufragen und hinter einem Filter zu hinterlegen. Zudem schätzen viele Hotels die jeweiligen Kriterien aus ihrem Blickwinkel ein, nicht aus der Sicht des Betroffenen. Die Hotelinformationen bieten allerdings erste Anhaltspunkte – auch Bilder vom Hotel, insbesondere dem Eingangsbereich, können für eine erste Orientierung hilfreich sein, um zumindest die Frage zu klären, ob der Eingangsbereich stufenlos zugänglich ist. Gerade für Elektro-Rollstühle ist das ein wichtiges Kriterium, da sie nicht getragen werden können und schon kleine Stufen das “Aus” für den Traumurlaub bedeuten können. Deshalb ist es wichtig, sich einerseits selbst seiner eigenen Einschränkungen und Anforderungen bewusst zu sein und andererseits grundsätzlich den persönlichen Kontakt zum Hotel zu suchen.

Weitere Tipps

Neben den trivago-Hotelinfos, den Informationen auf der Buchungsseite und dem persönlichen Kontakt zum Hotel gibt es eine Reihe weiterer Helferlein, um an Infos zum Traumziel zu kommen:
Google Streetview
 ist ein nützliches Hilfsmittel für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, um sich (vorausgesetzt, die Google-Kameraautos waren dort schon unterwegs) ein ausgiebiges Bild von den Gegebenheiten vor Ort machen zu können.

Die Online-Karte für rollstuhlgerechte Orte, Wheelmap.org, zeigt in vielen Gegenden, ob es in der Umgebung des Hotels für Rollstuhlfahrer geeignete Restaurants oder touristische Einrichtungen gibt.

Auch der geobasierte Bilderdienst Panoramio kann helfen, die Region etwas einzuschätzen. Kommt man schließlich zu dem Schluss: „Ja, dieses Hotel in dieser Gegend ist meins!“ – Dann kann es losgehen mit der Buchung und den allgemeinen Vorbereitungen.

Allgemeine Reisevorbereitungen

Wenn das Reiseziel und das Budget festgelegt wurden, geht es an die allgemeine Reiseplanung, bei der sich schon einmal auf den Urlaub eingestimmt werden darf.

Apropos Budget: Vergünstigungen für Inhaber von Schwerbehindertenausweisen, wie wir sie aus Deutschland kennen, gibt es im Ausland oftmals nicht.

Checkliste für Reisen mit Rollstuhl:

  • Personalausweis und, falls benötigt, Reisepass checken, eventuell Visum beantragen
  • Bei der Krankenkasse einen Auslandskrankenschein anfordern
  • Eventuell benötigte Impfungen rechtzeitig planen – Hinweise geben das Auswärtige Amt sowie der Hausarzt
  • Medizinische Unterlagen mit Diagnosen zusammenstellen, wenigstens ins Englische übersetzen lassen, idealerweise in die Landessprache des Reiseziels
  • Falls nötig, Therapiezentren vor Ort suchen, um laufende Behandlungen im Urlaub fortzusetzen (beispielsweise Feriendialyse)
  • Benötigte Hilfsmittel überprüfen – für Rollstuhlfahrer ohne Vollgummireifen sollte ein Reifenflickset im Gepäck sein!
  • Medikamente (zusätzlich zur Reiseapotheke) in ausreichender Menge besorgen
  • Bei Betäubungsmitteln muss eine ärztliche Bescheinigung vorliegen, um sie ins Ausland mitnehmen zu dürfen. Infos dazu gibt bei der Bundesopiumstelle.
  • Bei Flugreisen: Für Medizintechnik, die an Bord betrieben wird, FAA-Konformitätserklärung vom Hersteller oder Versorger schicken lassen
  • Falls von der Fluggesellschaft gefordert, eine Flugtauglichkeitsbescheinigung (MEDIF) vom Arzt einholen
  • Prüfen, welche Dienstleister im Notfall am Urlaubsort bei technischen Pannen helfen können (Rollstuhl, CPAP, Sauerstoff-Konzentrator, usw.)
  • Nach Hilfsmittel-Vermietung vor Ort recherchieren: Lifter, Rollstuhl-Zuggerät, Strandrollstuhl, usw.

Planung der Anreise

Anreise mit der Bahn:

Rollstuhlreisen mit der Bahn sind grundsätzlich möglich, bedürfen aber in vielen Fällen einer Voranmeldung, um Sitzplätze für den Rollstuhlfahrer und den Begleiter zu reservieren, Einstiegs-, Gepäck- oder Begleitservice anzumelden. In Fernreisezüge wie IC, EC oder ICE kommen Rollstuhlfahrer meist nur mit einem externen Hublifter. Auf Mobilista finden sich weitere, allgemeine Hinweise zu Bahnreisen für mobilitätseingeschränkte Reisende sowie Informationen zu Bahn-Vergünstigungen im Ausland für Schwerbehinderte.

Die Mobilitätszentrale der Deutschen Bahn ist telefonisch erreichbar unter  01806 99 66 33 oder per E-Mail an msz@deutschebahn.com.

Mietwagen: 

Mietwagen sind für Rollstuhlfahrer im Urlaub ein eher schwieriges Kapitel. Für Selbstfahrer, die auf umgebaute Fahrzeuge angewiesen sind, ist die Nutzung eines Mietwagens aufgrund der komplexen Umbaumaßnahmen nur in den seltensten Fällen realisierbar. Rollstuhlfahrer, die einen manuellen Rollstuhl besitzen, nicht selbst fahren und zumindest mit Hilfe umsitzen können, kommen mit einem Mietwagen der Kombi-Klasse oder mehr von A nach B.

Anders sieht es jedoch aus, wenn Umsitzen nicht mehr möglich ist oder ein Elektro-Rollstuhl transportiert werden soll: in einigen Ländern, beispielsweise in den USA, gibt es vereinzelt Mietwagen, die für den Rollstuhltransport inklusive Hublifter oder Rampe umgerüstet wurden. Hier sind gründliche Recherchen erforderlich, um mit ein wenig Glück einen Rollstuhltransporter mieten zu können.

Shuttle-Service: 

Viele Hotels bieten Transfers vom Flughafen zum Hotel und zurück an. Hier ist vorab zu klären, ob das eingesetzte Fahrzeug zugänglich ist (beispielsweise ein Niederflurbus mit Rampe) oder eventuell durch ein rollstuhlgerechtes Taxi ersetzt werden kann. Solche Details sind unbedingt rechtzeitig mit dem Hotel zu klären.

Fazit

Grenzenloses Reisen ist für mobilitätseingeschränkte Menschen noch immer nicht die Regel. Viele Schwierigkeiten sind lösbar, in jedem Fall sind aber fast immer ausführliche Recherchen in verschiedenen Quellen, reichlich Planung und Vorbereitung notwendig, um im Urlaub nicht unerwartet mit unliebsamen Überraschungen konfrontiert zu werden.

Für viele Hürden, die zunächst riesig wirken, gibt es aber oft Lösungen, die man auf den ersten Blick gar nicht auf dem Schirm hat. Mit ein wenig Flexibilität, Pragmatismus und vor allem Kommunikation werden sowohl die Planung als auch der Urlaub selbst aber oft viel leichter, als zunächst gedacht. Und sollte vor Ort etwas schiefgehen, kann man fast immer mit hilfsbereiten Menschen rechnen, die dazu beitragen, eine schnelle, pragmatische Lösung zu finden.

Über den Autor

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Timo Hermann. Er ist der Gründer von Mobilista.eu – ein Projekt, das sich der Mobilität im Rollstuhl widmet. Seine Partnerin, die selbst einen Rollstuhl nutzt, ist eine ständige Inspirationsquelle für die vielen Praxis-Tipps und Informationen zum Thema Reisen mit Rollstuhl auf Mobilista und in diesem Artikel.